Die verborgenen Städte 5
Berenice, die Stadt der Gerechten und Ungerechten, versteht sich als eine Stadt der Kontraste. Kleine, unbelichtete und verschattete Zellen liegen unter Palästen mit Vorgärten, Balkonen und Atrien, Thermen und Sakralbauten. Die untere Schicht der Gerechten schuftet und versucht das Leben der Ungerechten aufrecht zu erhalten und zu bereichern, während sie von diesen beherrscht und unterdrückt wird. Ursprünglich lebte die Stadt in Gerechtigkeit, bestehend aus gleichgroßen, einzelnen Parzellen für die Bürger im unteren Teil der Stadt – da jedoch in allem Gerechte das Ungerechte keimt und umgekehrt, werden die einzelnen Parzellen erweitert, vergrößert, aufgestockt und dehnen sich in den oberen Teil der Stadt aus. So dominiert die ungerechte Schicht die Gerechten, die hauptsächlich unter ihr haust. Möglicherweise werden die großen Prachtbauten später wieder zurückgebaut, in die Ursprungsform der Parzelle zurückgebracht, sollte das Gerechte im Ungerechten siegen. Es entstehen vereinzelt gerechte Parzellen zwischen der Masse an Ungerechtigkeit. […]
Die unsichtbare Stadt Berenice wird im ersten Schritt auf der Grundlage der hippodamischen Stadt, einer städtebaulichen Methode der griechischen Antike, entworfen. Dieses System zur Erstellung von Stadtplänen basiert auf einer gleichmäßigen Rasteraufteilung mit parallelen und rechtwinklig zueinander verlaufenden Straßen, welches die Parzellen in gleichgroße Grundstücke einteilt. Das Ziel war es im 5. und 4. Jahrhundert eine ideale Einteilung der Fläche zu erreichen, um eine Demokratie und damit einhergehend Gleichheit aller Bürger zu verwirklichen. Im Anschluss daran fand ein Umschwung der Gesellschaft während der Spätklassik statt und damit einhergehend eine Veränderung in der Typologie der Wohnhausarchitektur. Der zunehmende Luxus zeichnete sich durch herrschaftliche Bauformen aus und dominierte gegenüber der demokratischen Architektur. Dieser Ansatz einer sich verändernden Stadt wird auch in unserem Entwurf für Berenice in Form der möglichen Überbauung der Gerechten (grün) durch die Ungerechten (violett) sichtbar.[…]
Vor allem die Erweiterbarkeit, Wandelbarkeit und Kontradiktion zweier wechselseitiger Welten definieren das Gesamtbild des ungerechten-gerechten Berenice.
Alisa Maiworm, Sophie Wang & Marius Wißler