Die Städte und die Augen 2
„Die Stimmung dessen, der sie ansieht, ist es, die der Stadt Zemrude ihre Gestalt gibt.“ Diese Worte aus Italo Calvinos Beschreibung der Stadt Zemrude stehen im Zentrum unserer gestalterischen Auseinandersetzung. Die Stadt existiert nicht als feste, objektive Struktur – sie entsteht erst durch die Wahrnehmung des Betrachtenden.„Gehst du pfeifend hindurch, die Nase in der Luft hinter dem Pfiff, lernst du sie von unten nach oben kennen: Fenstersimse, wehende Vorhänge, Springbrunnen.“ Doch ebenso ist es möglich, die Stadt aus einer entgegengesetzten Perspektive zu erleben: „Gehst du hindurch mit dem Kinn auf der Brust, die Fingernägel in die Handflächen gegraben, verfangen sich deine Blicke den Boden entlang an Rinnsteinen, Gullys, Fischgräten, Papierabfällen.“ Calvino beschreibt damit einen Prozess des Wahrnehmens: Zu Beginn nimmt man eine Stadt neugierig und offen wahr, entdeckt ihre vielen Facetten – meist die positiven. Doch mit der Zeit verblasst das Neue, wird vertraut, und der Blick senkt sich langsam nach unten. Selten erlebt man eine bereits bekannte Stadt mit neuen Augen. Diese von Calvino beschriebenen Momente wollten wir sichtbar machen – nicht durch eine statische Darstellung, sondern durch eine Annäherung, die subjektive Eindrücke sowie das Zusammenspiel von Blickrichtung, Erinnerung und Stimmung einfängt. Die Wahl fiel auf die Lochkamera als gestalterisches Mittel, um die Perspektive des Betrachtenden einzunehmen – frei von einer durch Sucher oder Display vorgegebenen Richtung oder Wertung. Die Ästhetik von Bewegungsunschärfe, Körnung und starken Kontrasten unterstreicht die Wirkung der Bilder als Erinnerungsfragmente eines Stadtspaziergangs. Die entstandenen Negative wurden entwickelt, katalogisiert und bildeten die Grundlage für die visuelle Entdeckung Zemrudes. In den collagierten Stadtperspektiven tritt die konkrete Architektur in den Hintergrund – stattdessen rückt die Wahrnehmung in den Vordergrund, besonders in ihrer Dualität zwischen Blick nach oben und Blick nach unten. Diese Dualität soll im Modell exemplarisch an einem Gebäude veranschaulicht werden – um zu zeigen, wie unterschiedlich ein Objekt wahrgenommen werden kann, abhängig von Stimmung und Perspektive.
Adrian Bistrovic-Ferizi, Ferdinand Feldkamp & Jan Günther







