Die Städte und der Wunsch 2
[…] Die „konzentrischen Kanäle“ zeichnen von allen in der gesamten Beschreibung auftauchenden Indizien zum Erscheinungsbild der Stadt das bei weiten deutlichste Bild im Kopf des Lesers. Neben allen anderen enthaltenen Informationen bilden die Kanäle und deren Anordnung in der Stadt den konstruktiv am besten nutzbaren Anhaltspunkt für das Sichtbarmachen dieser Stadt.[…] Die Anzahl dieser Kanäle ist nicht zufällig gewählt, sondern erschließt sich unter anderem aus der biblischen Bedeutung der Zahl 12 in Zusammenhang mit dem im Text von Calvino genannten Stein Chalzedon. Als Edelstein steht er in direkten Zusammenhang mit der Geschichte des himmlischen Jerusalems und bildet nun auch einen der Grundstein Anastasias, der kreisförmigen und vollkommenen Stadt der Wünsche. […]
Der Kreis, der ebenfalls sehr abgeschlossen ist und Vollkommenheit ausstrahlt korreliert als Grundform des Stadtentwurfs auf Basis der von Calvino beschriebenen Konzentrizität Anastasias zusätzlich auch sehr schön mit der konzentrischen und verschiedenfarbigen Maserung, die sich in aufgeschnittenen Edelsteinen, wie z.B. dem Chalzedon finden lassen. Im Zentrum Anastasias findet der Besucher der Stadt ein bedeutungsvolles Zentrum, das einem Lustgarten gleicht und all die in der Stadt gebündelten Wünsche verkörpert, gleichzeitig aber auch den Besucher der Stadt in sich fängt und nicht einfach wieder freigibt – der Besucher ist Sklave Anastasias. Die 12 Kanäle speisen sich aus einem im Zentrum der Stadt und im Zentrum des bildhaften Paradieses befindlichen Brunnens, der von dort aus in die vier Himmelsrichtungen entspringt. […]
Es wird offensichtlich, dass das Zentrum der Stadt und des Modells als spielbrettartiges Konstrukt ein zu erreichendes Zeil darstellt, das allerdings auch zum Gefängnis des Sklaven wird, sobald dieser die Schwelle zum trügerischen Paradies einmal überschritten hat. […]
Aude Charoy, David Engelbrecht & Felix Kellner