Die Städte und die Zeichen 4

Die Stadt „Hypatia“ wird im Kapitel „Die Städte und die Zeichen 4“ aus Italo Calvinos „Die unsichtbaren Städte“ von 1972 beschrieben als ein Ort mit einer anderen Sprache, welcher das lyrische Ich, Marco Polo, in seinen Erwartungen täuscht. […] So findet er in den blauen Lagunen keine badenden Frauen, sondern Selbstmörderinnen und im Palast des Sultans arbeiten Gefangene in einem Steinbruch. Um die Stadt zu verstehen sucht er in der großen Bibliothek nach Antworten von Philosophen, verirrt sich dort und trifft schließlich auf einen Jüngling, der ihm den Weg zum Philosophen weist. In einem Garten, umgeben von Kinderspielzeug, gibt der Philosoph schließlich den Hinweis, dass es sich um Zeichen handle, welche zusammen eine Sprache ergäben. Diese Sprache sei allerdings anders als die, die das lyrische Ich kenne. Und so versteht er, dass es ohne Erwartungen der Stadt begegnen muss, um ihre Sprache zu verstehen.[…]

Um das Motiv der Suche nach Erkenntnis und des Verstehens einer Sprache umzusetzen, wurde ein Turm gewählt. Der Turm ist bereits in der jüdischen Thora beziehungsweise in der Bibel ein Motiv, welches für den Wunsch nach Erkenntnis der Menschen steht. In Genesis 11, 1-9 1 wird dabei der Turmbau zu Babel beschrieben, welcher zudem auch in der bildenden Kunst behandelt wird. Oftmals wird ein gewaltiges Gebäude gezeigt, dessen Aufgang sich spiralförmig um das Gebäude gen Himmel windet. […] Sprache wird dabei sowohl in der biblischen Erzählung wie auch in Calvinos Beschreibung von Hypatia als essentielles Mittel zum Verständnis gesehen. Zudem hat der Turm einer Stadt eine repräsentative Funktion. Er dient dabei als Erkennungsmerkmal und Wahrzeichen einer Stadt. […]

Die Treppe, welche zum Aufstieg hinauf benötigt wird, steht dabei sinnbildlich für die Schritte, die es auf dem Weg zur Erkenntnis braucht. Hinter jeder Treppenwindung erwartet man dabei einen Ausblick, jedoch schaut man auf ein Blindfenster, es kommt zur Enttäuschung. Die einzelnen Eindrücke, welche das lyrische Ich in Hypatia sammelt, werden dabei als Fragmente abgebildet, welche sich auf dem Weg nach oben durch schmale, tiefe Gucklöcher betrachten lassen. Sie hängen im Inneren des Turmes. Der erwartbare Ausblick wird also in einen Einblick umgewandelt. Diese Fragmente stehen dabei in diffusen Kompositionen zueinander. Vom Auge des Betrachters ergeben sie keinen Sinn – ein Abbild der Irritationen, welche das lyrische Ich empfindet. Kommt man schließlich auf der obersten Turmebene an, kommt es erneut zur Enttäuschung. Statt eines Ausblicks in die Ferne ist die Plattform von hohen Mauern umgeben. Auch hier bleibt nur der Blick ins Innere über ein Auge.
Von dort ist der Blick auf die Fragmente jedoch ein anderer: sie erzeugen zusammen das Bild eines Labyrinths. […]

Moritz Jonah Tücke & Leoni Wittenbecher