Die Städte und der Tausch 5

„Gewiß stellst du dir vor, wie du in der staubigen Ebene einen Mauerring sich erheben siehst, wie du dich Schritt um Schritt dem Tor näherst, bewacht von Zöllnern, die schon mißtrauisch auf deine Bündel blicken. Du bist noch draußen, solange du es nicht erreicht hast; du passierst einen Torbogen und bist in der Stadt; ihre festgefügte Dichte umgibt dich […] Glaubst du dies, so irrst du: In Pentesilea ist es anders. Stundenlang gehst du voran, und dir ist noch immer nicht klar geworden, ob du schon mitten in der Stadt oder noch draußen bist. Wie ein See mit flachem Ufer, der sich in Sumpfgebiete verliert, verläuft sich Pentesilea meilenweit ringsum zu einer Suppe von Stadt, die sich in der Ebene verwässert: blasse Mietskasernen auf struppigen Wiesen, sich den Rücken zukehrend zwischen Bretterzäunen und Wellblechhütten. Hier und dort an den Straßenrändern scheint ein Zusammenrücken von Gebäuden mit schäbiger Fassade, wie ein ausgezahnter Kamm ganz hoch oder ganz niedrig, darauf hinzudeuten, sich von nun an die Maschen der Stadt verengen werden. Doch du gehst weiter und begegnest nur wieder anderen unbestimmten Grundstücken, dann einem rostigen Vorort aus Werkstätten und Lager, Schuppen, einem Friedhof, einem Jahrmarkt mit Karussells, einem Schlachthof, durchläufst eine Straße mit kümmerlichen Läden, die sich dann in Pfützen auf kahlem Land verliert.“ […] Der Rand der einen Stadt wird nicht selten zum Rand der anderen. Es entsteht eine neue städtische Struktur, die sich über die suburbanen Räume hinweg ausdehnt und die Merkmale der traditionellen Stadt vermissen läßt. Die Heterogenität der räumlichen Elemente wird weder durch strukturierenden öffentlichen Raum noch durch starke architektonische Gestalt gebändigt. Der Rand leidet unter schlechter Lesbarkeit, dauerhafte Bilder fehlen. Die Dynamik der Moderne kann sich hier entfalten, ohne auf den Widerstand einer historisch beladenen Umgebung zu treffen. Der Rand ist zudem geduldiges Experimentierfeld für die Reformideen der modernen Planung und nicht selten von Zukunftsprojekten verstellt. Die Peripherie läßt sich verstehen als der unvollendete Teil der Stadt und als die Verkörperung der Aufgabe, eine andere Ordnung zu finden, in der die gesamte Stadt Platz hat. Wo ist die Alternative zum Siedlungsbrei? Die Wechselwirkung zwischen Monumentalem und Selbstverständlichem, zwischen Banalem und Besonderem, Konzentration und Streuung muß nicht notwendig konzentrische Form annehmen. Doch wie bildet man Knoten, die keine bloßen Verkehrsknoten sind?

Finn Marcelli & Emil Knapp